Geschichte

Die Geschichte zur Katze aus einem Schulbuch von 1902

Die Katze hat als Haustier eine sehr weite Verbreitung gefunden. Wahrscheinlich ist sie von Ägypten aus verbreitet worden, wenigstens haben wir von dorther die ersten geschichtlichen Nachrichten über sie. Wir wissen, dass man sie dort schon in den allerältesten Zeiten göttlich verehrte. Geriet ein Haus in Brand, so rettete man erst die Katzen und dann die Menschen. Eine Katze umzubringen, galt als große Sünde.

Als später die Römer ins Land kamen, brachte einmal ein römischer Soldat eine Katze um. Da rottete sich das Volk zusammen; vergebens suchte der König von Ägypten, den Mann zu retten; er wurde totgeschlagen. Nach Europa ist die Katze erst viel später gekommen. Jetzt findet man sie in allen Ländern, wo der Mensch feste Wohnsitze hat, und sie wird fast überall in den Häusern gehalten. Freilich unterwirft sie sich dem Menschen nur, so weit es ihr gut scheint.

Wo man sich aber viel mit ihr beschäftigt, gewinnt sie eine große Anhänglichkeit an die Familie. Auch wenn man sie sich selbst überlässt, wird sie in dem Hause heimisch, wo sie geboren wurde. Im Sommer entläuft sie wohl einmal, begibt sich in benachbarte Wälder und kann dort unter Umständen völlig verwildern; allein auf den Winter pflegt sie sich dann in der früheren Wohnung wieder einzufinden. 

Unsere Hauskatze ist ein außerordentlich schmuckes, reinliches und zierliches Geschöpf. Jede ihrer Bewegungen ist anmutig, ihre Gewandtheit wahrhaft bewundernswert. Sie geht gemessen und kann mit ihren Samtpfötchen, deren Krallen sorgfältig eingezogen sind, so leise auftreten, dass ihr Gang für den Menschen völlig unhörbar wird. Wird sie von einem andern Tier verfolgt oder plötzlich erschreckt, dann beschleunigt sie ihren Gang und läuft in schnell aufeinanderfolgenden Sätzen so rasch, dass der Verfolger sie selten einholt. Denn klug benutzt sie jeden Schlupfwinkel oder klettert irgendwo empor, bis sie sicher ist. Mittelst Einhäkeln ihrer Krallen nämlich können die Katzen leicht und geschickt an Bäumen oder rauen Mauern emporklettern; sie sind imstande, mit einem einzigen Satz eine Höhe von sechs bis acht Fuß zu gewinnen. Im freien Felde ist ihr Lauf nicht eben rasch; wenigstens holt jeder Hund eine Katze ein. Zu springen versteht sie meisterhaft, mag sie es freiwillig oder gezwungen tun. Sie mag fallen, wie sie will, stets erreicht sie mit den Beinen den Boden und fällt verhältnismäßig sanft auf die weichen Ballen der Füße. Auch das Schwimmen macht ihr wenig Mühe; sie übt aber diese Kunst nur, wenn sie muss. Denn freiwillig geht sie nie ins Wasser, ja sie wittert den Regen mit einer gewissen Ängstlichkeit. Sie sitzt wie der Hund auf dem Hinterteil und stützt sich vorn mit beiden Füßen; im Schlafe rollt sie sich zusammen und legt sich auf die Seite. Dabei sucht sie gern eine warme und weiche Unterlage auf, kann es aber nicht ertragen, wenn sie bedeckt wird. Vor allem benutzt sie das Heu zum Pfühl, wahrscheinlich, weil sie den Duft desselben gut leiden mag.

Der Geruch der Katze ist nicht besonders scharf.*** Legt man ihr irgend eine Lieblingsnahrung so vor, dass sie dieselbe nur riechen kann, dann nähert sie sich dem Gegenstande und wendet, wenn sie herangekommen ist, den Kopf so vielfach hin und her, dass man deutlich sehen kann, wie wenig Geruchsinn sie besitzt; auch benutzt sie ihre Schnurrhaare, welche vortreffliche Tastwerkzeuge sind, weit mehr als die Nase. Eine in der Hand versteckte Maus muss man ihr ganz nahe vorhalten, ehe sie dieselbe riecht. Weit feiner ist ihr Gefühl. Man braucht nur eines der Schnurrhaare ganz leise zu berühren, so wird man sehen, wie das Tier augenblicklich zurückzuckt. Ausgezeichnet ist ihr Gesicht, und zwar sieht die Katze ebenso gut bei Nacht als bei Tage. Sie ist fähig, ihren Augenstern bei großer Helligkeit so zu verkleinern und bei Dunkelheit so zu vergrößern, dass ihr das Sinneswerkzeug jederzeit vortreffliche Dienste tut. Aber unter allen ihren Sinnen steht das Gehör obenan. Wenn sie fest zu schlafen scheint, ist das allergeringste Geräusch imstande, sie zu wecken.

Die Lieblingsnahrung der Katze besteht in Mäusen und kleinen Vögeln. In den Häusern füttert man sie mit allerlei Kost: gekochtem Fleische, Pflanzenstoffen und Milch. Im Felde richtet sie, zuweilen auch unter größeren Tieren, arge Verwüstungen an. Sie wagt sich an ziemlich große Hasen und frisst vollkommen ausgewachsene Rebhühner. Ihre Beute beschleicht sie mit bewundernswerter Geschicklichkeit.

Überhaupt gehört die Katze zu den begabtesten Tieren; sie ist ein kleiner Löwe oder ein Tiger in verjüngtem Maßstabe. Alles an ihr ist in schönem Verhältnisse gebaut, kein Teil zu groß oder zu klein; kein Tierkopf ist schöner geformt. Körper und Seele sind gleich gewandt. Man sehe sie nur, wie sie sich auf schmalen Kanten oder Baumzweigen hält, selbst wenn man diese schüttelt. Groß ist ihre Reinlichkeit, sie leckt und putzt sich immerdar. Alle ihre Härchen vom Kopf bis zur Schwanzspitze sollen in vollkommener Ordnung liegen. Die Haare des Kopfes zu glätten und zu kämmen, beleckt sie die Pfoten und streicht dann diese über den Kopf; selbst die Spitze des Schwanzes versäumt sie nicht. Den Unrat verbirgt sie; sie verscharrt ihn in selbstgegrabene Erdlöcher. Aber auch ihr Fell will sie stets rein haben; sie leckt sich allen Schmutz ab. So ist sie hierin gerade das Gegenteil des Schweins.

Vom Schwindel ist die Katze frei. Sie klettert an senkrechten Tannen bis zum Wipfel, ungewiss, ob und wie sie wieder herunterkommt. Nur selten zeigt sie dabei Furcht. Dann bleibt sie wohl oben, bis sie hungert, ruft auch wohl einmal um Hilfe; endlich wagt sie sich, aber nur rückwärts, herunter. Den Raum und die Entfernungen weiß sie genau abzumessen, ehe sie einen ungewohnten Sprung tut. Sie wagt ihn vielleicht lange nicht, hat sie ihn aber gemacht, und ist er gelungen, so ist er für immer gemacht; gelang er nicht, so versucht sie ihn später mit fortgeschrittener Kraft und Geschicklichkeit wieder. Minder gut weiß sie die Zeit zu berechnen; doch kennt sie die Mittagszeit, denn dann kommt sie pünktlich heim. Aber ihr Ortssinn ist größer. Sie will zur Tür hinaus, wenn sie gerufen wird. In der ganzen Nachbarschaft, in allen Häusern, Kammern, Kellern, unter allen Dächern, auf allen Holz- und Heuböden zieht sie umher. Sobald sie einen Hund wahrnimmt, krümmt sie den Rücken, ihre Augen glühen vor Zorn, schon von fern speit sie gegen den Feind; kann sie auf ein Gesims, einen Ofen oder zur Tür hinausspringen, so flieht sie vielleicht. Hat sie aber Junge, dann stürzt sie, wenn er dem Neste zu nahe kommt, wütend auf ihn los, ist mit einem Satz auf seinem Kopfe und zerkratzt ihm das Gesicht gar jämmerlich. Katzen, welche in freiem Felde von einem Hunde verfolgt werden, kehren, wenn sie sich stark fühlen, augenblicklich um und packen den Hund an, der dann erschrocken die Flucht ergreift.

Mit dem Mute der Katzen hängt eine gewisse Rauflust zusammen. Man sieht diese schon aus ihrer Neigung zu Balgereien untereinander, zu Spiel und Mutwillen aller Art. Oft genug schlagen sie sich bei Tage auf dem Dache herum, zerzupfen einander grässlich und rollen auch, miteinander sich windend und kugelnd, über das Dach auf die Straße hinab. Doch führen sie am meisten Krieg bei Nacht, und zwar hauptsächlich die Kater untereinander.

Mit dem Mute der Katze ist große Geistesgegenwart verbunden. Man kann sie nicht, wie den Hund oder das Pferd erschrecken, sondern nur verscheuchen. Diese haben mehr Einsicht, die Katze aber hat mehr Mut; sie lässt sich nicht stutzig machen, nicht in Verwunderung setzen. Mit Recht spricht man viel von ihrer List und Schlauheit. Totenstill harrt sie vor dem Mausloch. Listig macht sie sich klein, wartet lange; schon funkeln die Augen, denn das Mäuschen zeigt sich; aber noch hält sie zurück, denn es ist erst halb heraus: sie bemeistert sich und erspäht klug den rechten Augenblick.

Wenn sie sich eines Vergehens bewusst ist, fürchtet sie einzig die Strafe. Ist sie derb ausgescholten und geprügelt worden, so schüttelt sie den Pelz und kommt nach kurzer Zeit unbekümmert wieder. Wenn man sie aber wegen der ersten von ihr gefangenen Maus, die sie in die Stube bringt und vor die Augen der Leute legt, lobt, fühlt sie sich nicht wenig geschmeichelt. Dann kommt sie auch künftighin mit ihrer Beute und zeigt ihre große Kunst jedes Mal an.

Von ihrer Falschheit und vollends von ihrer Rachsucht macht man viel zu viel Aufhebens. Freilich kann sie sehr lieben und sehr hassen. Gefällt ihr jemand, so drückt sie sich oft mit der Wange und den Flanken an ihn, kost ihn auf jede Weise, springt am frühen Morgen auf sein Bett, legt sich ihm so nahe wie möglich und küsst ihn. Allerdings gibt es Katzen, denen nie ganz zu trauen ist, die oft beißen und kratzen, wenn man es gar nicht vermutet. Allein in den meisten Fällen beruht ein solches Verfahren auf Notwehr, weil ja doch die Katzen gar oft geplagt werden. Der Hund tut solches freilich nicht, der ist eben ein guter Narr; aber die Katze ist, weil sie immer unabhängig bleibt, noch nicht falsch. Eigentlich sind falsche Katzen Ausnahmen, wie es deren auch unter den Menschen gibt, wenn auch hoffentlich nur selten.

So wird also das Wesen der Katze oft völlig verkannt; viele Menschen haben sogar einen unüberwindlichen Abscheu gegen diese Tiere und gebärden sich höchst albern, wenn sie eine Katze erblicken. Leute, welche sie liebevoll und aufmerksam beobachten, wissen nicht genug davon zu erzählen, wie sehr sie die Freundschaft den Menschen verdient. Zudem sollte man auch auf den großen Nutzen dieses Tieres mehr Gewicht legen, als oft geschieht. Wer niemals in einem Hause gewohnt hat, in welchem Ratten und Mäuse nach Herzenslust ihr Wesen treiben, der weiß gar nicht, was eine gute Katze besagen will.

Hat man aber jahrelang mit diesem Ungeziefer zusammengewohnt und erfahren, wie viel Not es dem Menschen macht, dann überzeugt man sich bald, dass die Katze eines unserer allerwichtigsten Haustiere ist. Schon das Vorhandensein einer Katze genügt, um die übermütigen Nager zu verstimmen und sogar zum Auszuge zu nötigen. Das ihnen auf Schritt und Tritt nachschleichende Raubtier mit den nachts so unheimlich leuchtenden Augen, das furchtbare Geschöpf, welches sie am Halse gepackt hat, ehe sie noch etwas von seiner Ankunft gemerkt haben, flößt ihnen Grauen und Entsetzen ein, und sie ziehen vor, ein so geschütztes Haus zu verlassen. Tun sie es nicht, so wird die Katze auch auf andere Art mit ihnen fertig. Denn man hat beobachtet, dass eine Katze täglich über zwanzig, also im Jahr über 7000 Mäuse verzehren kann.

Gegen so vielen Nutzen kommt es wenig in Betracht, dass naschhafte Katzen schon oft aus der Küche das Fleisch oder die Milch fortgeholt haben, wenn man sie daran gelassen hat. Wer daher eine Katze hat, die die Lieblingsgespielin der Kinder ist, und Tag und Nacht auf Maus- und Rattenfang geht, der handelt sehr weise, wenn er das Tier als einen Wohltäter hegt und pflegt.

*** Heute ist man sich sicher, dass der Geruch der Katze sehr wohl "scharf" ist. Eine Katze besitzt 200 Millionen Riechzellen. Damit ist sie uns in Sachen "riechen" sehr weit überlegen. Sie erkennt auch sofort, ob eine ihr angebotene Nahrung einwandfrei ist. Stimmt etwas nicht, lässt sie das Futter unberührt liegen und fordert neues. Aber Achtung: Meine drei eigenen Haustiger machen sich inzwischen daraus einen Spaß, um immer noch an bessere Delikatessen zu gelangen!